Party: Milliarden w/ Lian (at) M A U Club | 25 11 2016

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Milliarden w/ Lian (at) M A U Club | 25 11 2016

Club: M.A.U. Club Rostock

Upcoming: 3
Date: 25.11.2016 19:00
Address: Warnowufer 56, Rostock, Germany | show on the map »

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Party: Milliarden w/ Lian (at) M A U Club | 25 11 2016

Milliarden sind eine Band mit Doppelspitze: Sänger und Gitarrist Ben Hartmann und Multiinstrumentalist Johannes Aue. Was nicht ohne Symbolkraft ist. Denn der rote Faden, der sich durch die Songs von Milliarden zieht, ist eine an zwei Enden brennende Zündschnur aus Dualismus und Ambivalenz. Texte und Musik sprechen von Kreativität und Zerstörung. Punk und Pop. Scheiße und Gold. Krieg und Frieden. Himbeereis und Kokain. Sie sind Yin und Yang. Ende und Neubeginn. Rabiat und zärtlich. Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Und leben in der Konsequenz vom Widerspruch. Die sich daraus ergebende Reibungsenergie ist der Treibstoff, mit dem ihr Motor läuft. Nicht nur der ihrer Musik, sondern auch der von Ben und Johannes, die sich vor fünf Jahren bei einer Aufnahmeprüfung an der Uni kennengelernt hatten, wo Punkrocker Ben zum ersten Mal hörte, wie Johannes Klavier spielt. Der Song „Freiheit is ne Hure“ untermalte Anfang letzten Jahres als Titeltrack Oskar Roehlers großartige Punk-Groteske „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“. Ein Song, der randalierende Gitarren, eine ungeschliffene Produktion und eigenwillige deutsche Texte mit einer eingängigen Melodie verband und dennoch alles, was nur entfernt nach Kompromiss roch, weiträumig umschiffte – womit er zum Film passte, wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. „Freiheit is ne Hure“ bescherte den beiden Freunden auf einen Schlag mediale Aufmerksamkeit und einen Plattenvertrag. Nachdem sie Ende letzten Jahres mit der EP „Kokain & Himbeereis“ ihren Einstand gaben, erscheint nun mit „Betrüger“ das erste Album der Berliner, die seitdem fast jeden Tag, den sie nicht im Studio verbrachten, mit ihrer Band
auf der Bühne standen. „Freiheit is ne Hure“ ist für die Karriere von Milliarden also, wenn schon nicht der Startschuss, dann doch zumindest eine Art Brandbeschleuniger gewesen und findet sich
folgerichtig auch auf dem Debütalbum. Wenn Frontmann Ben im Refrain des Songs lustvoll Georg Büchner variiert und in der Strophe das Selbstverständnis der Band auf den Punkt bringt, dann tut er das so krawallig und mit solcher Hingabe, dass man die Kehle des Sängers mindestens so wund wähnt wie sein Herz. Eine Ahnung übrigens, die einen im Verlauf des Albums immer wieder beschleicht. „Schonungslos“ – und dieser Begriff beschreibt es vielleicht am besten – ist bei Johannes Aue und Ben Hartmann die Auseinandersetzung. Mit inneren Zuständen und äußerer
Form. Ganz plakativ und direkt in das eigene Spiegelbild auf „Blitzkrieg Ballkleid“. Ein Song wie der Prolog zur 2016er Version von „Trainspotting“ oder die Eingangskapitel einer aktuellen Ausgabe von „American Psycho“. Der Zustand zwischen Einsamkeit und Blowjob, zwischen Emo, Ego, Eso, zwischen Wertenorm und Doppelkorn. „Blitzkrieg Ballkleid“ ist in seiner ganzen Brachialität Ausganspunkt und blutroter Faden, der sich durch das Album zieht. Er wird getränkt durch ein Grundgefühl, das einem vielleicht noch aus dem Filmklassiker „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ bekannt ist, das aber auch heute nichts von seiner Intensität verloren hat. Es geht um den Betrug an der Wahrheit, an der Wahrhaftigkeit. Es geht um die Wahrheit der Betrüger. Und es geht – im Umkehrschluss – um die Sehnsucht und Suche nach einem Gegenentwurf zum gelernten Lebensentwurf. So beschwören Milliarden im düster dräuenden Gitarrenrocker „Ende Neu“ die Stunde Null. Jenen Moment, in dem sich die Dinge auflösen und neu zusammenfügen. Auch dieser Song ist eng verbunden mit Roehlers Film. Und zwar insofern, als er bereits mit den ersten Worten „Ich mache die Uhren kaputt (...) ich mache den Tod kaputt“ den Schauspieler Alexander Scheer in der Rolle des Blixa Bargeld zitiert und auch der Songtitel einem Album von Blixas Band Einstürzende Neubauten entlehnt ist. Die Abschaffung des Systems – und zwar egal ob politisches, gesellschaftliches oder leibliches – wird auf „Ende Neu“ als potenzieller Neuanfang zelebriert. Und das keineswegs verkopft, verquast oder sonst irgendwie verklausuliert: der Song ist eine Revolutionshymne, ein ein waschechter Umsturz-Hit zum Mitgrölen. Dazu brettern die Gitarren auf einem schimmernden Keyboardfilm übers Parkett und reißen den Hörer in ihrer Wucht einfach mit.
Auch das ist typisch für die Songs von Milliarden: Sie packen uns, ohne dass wir sie uns mühsam erarbeiten müssen. Sie verlangen nichts von uns. Stattdessen erzeugt diese Musik einen Sog, der so stark ist, dass er den Hörer kurzerhand kidnappt, ihn auf eine Achterbahnfahrt entführt, auf der ihm die Gefühle mit einer solchen Direktheit und Vehemenz um die Ohren fliegen, dass er entweder die Arme in die Luft reißt oder mit Schmackes aus der Kurve fliegt. Idealerweise geschieht beides. Dabei sind die zärtlichen Stücke des Albums in Gestus und Haltung genauso rabiat, wie die rabiaten Stücke zärtlich sind. Besonders eindrucksvoll belegt das „Die Angst“, ein Song, der sich einerseits als Schilderung einer „Amour Fou“ lesen lässt – womit er sich in eine Reihe mit „Oh Cherie“ stellen würde, in dem Milliarden hemmungslos dem der Liebe innenwohnenden Wahnsinn und seiner zerstörerischen Kraft huldigen, andererseits aber auf einer abstrakteren Ebene, die Angst vor dem Unbekannten, dem Rätselhaften schildert. „Es ist die Angst”, formuliert es Ben, „vor etwas, dem man sich aus seiner eigenen Unzulänglichkeit, aus seinen eigenen Must rn heraus, nicht zu nähern traut, von dem man aber immerzu weiß, dass es da ist. Die Angst davor, alles kaputt zu machen. Die Angst vor der zerstörerischen Reaktion, wenn man die Potenziale zusammenführt.“ Letztlich also die Angst vor exakt jenem Moment, der in „Ende Neu“ heraufbeschworen wird. Ist das widersprüchlich? Ja, durchaus. Aber schließlich sind es ja die Widersprüche, die Milliarden mehr als alles andere umtreiben. Wenn es im Titelsong des Albums, der so etwas wie das Credo der Band formuliert, zum Beispiel heißt: „Ich schreib mich selbst einfach um, ich schreib mich immer wieder neu dann ist das“, sagt Ben, „ja widersprüchlich in sich, etwas aufzubauen, nur um es hinter sich wieder einzureißen. Trotzdem ist das eine Art Motor für uns, es treibt uns voran. Wir legen vorne Schienen, reißen sie hinter uns wieder ab um sie anschließend vorne wieder anzulegen. Auch auf die Gefahr hin, irgendwann mit unserer Lok mitten in der Wüste zu stehen.“ Wie viel Pop, bei aller Kompromisslosigkeit, in der Musik von Milliarden steckt, belegt neben Liebesliedern, wie der zärtlich trägen Ballade „Im Bett verhungern“ oder „Zucker“, wo die
Popschraube nicht nur mit Hilfe der Bläsersätze bis zur letzten Umdrehung angezogen wird, und dem zweifelnd um Antworten ringenden „Marie“ aber vor allem das hochmelodische, an den Helden des britischen Gitarrenpops der 80er-Jahre geschulte „Katy Perry“. Eine Nummer, die gleichzeitig nachdrücklich herausstellt, wie hintergründig ein Popsong bei Milliarden sein kann – denn statt die im Songtitel genannte Popmilliardärin auf einen Sockel zu stellen, hinterfragt „Katy Perry” die leeren Versprechen der Popindustrie und konfrontiert sie mit dem Elend eines prekären Alltags. „Friedrichsdorf“ dagegen ist tatsächlich eine Hommage, wenn auch eine tragische: an Joy Division und ihren verstorbenen Sänger Ian Curtis. Vor allem aber ist es ein Song über
Verzweiflung und Aussichtslosigkeit. Und die verhängnisvolle Energie, die sich daraus speist. So etwas wie das Gegengift dazu ist „Milliardär“: nämlich ein sehr direkter, ungefiltert optimistischer und augenzwinkernder Song über die subjektive Definition von Reichtum, darüber, dass man keine Milliarden besitzen muss, um sich als Milliardär zu fühlen. Ganz gleich, ob man nun ihrer augenzwinkernden Selbsteinschätzung folgen und Milliarden als Milliardäre und Betrüger oder einfach nur als eine der aufregendsten jungen Rockbands betrachten will, die dieses Land zu bieten hat – auf eines dürfen sich Ben und Johannes verlassen: Ihre Musik lässt niemanden kalt.